Nahezu unscheinbar und im Anzeigenteil des Buxtehuder Wochenblattes, dem Kreisblatt des Kreises Jork, ein wenig versteckt, stand es am 27. Juni 1899 geschrieben: “Am Mittwoch dem 28. Juni, Abends 8 ½ Uhr, findet im Waldschloss eine Versammlung zwecks Gründung eines Turnvereins statt. Diejenigen, welche den Verein aktiv und passiv unterstützen wollen, laden wir freundlichst ein. Mehrere Turner”. Das waren die Anfänge des heutigen TSV Buxtehude-Altkloster von 1899 e.V., der vor 100 Jahren als Turnverein gegründet wurde.
Die Anzeige im Wochenblatt, dem Vorgänger des heutigen Tageblatts, ist der älteste Hinweis auf die Turnbewegung in Altkloster. Eine gute Woche später, am 6.Juli, wurde noch einmal inseriert: “Turnverein in Altkloster. Diejenigen jungen Leute, welche Lust haben, einem Turnverein in Altkloster beizutreten, werden gebeten, sich morgen, Freitag den 7.d.M., Abends 8½ fuhr im Waldschloss einzufinden.”
Am 28.Juli 1899 war es dann soweit: Mehrere Altklosteraner gründeten ihren TV Gut Heil während der konstituierenden Sitzung. Der 28.Juli 1899 gilt somit als Gründungstag des TV. Die Männer der ersten Stunde waren: Die Herren Schneider, Schlichtmann, Schornsteinfeger Hans Zeigert, Hausdiener Otto Fischer, Buchbinder Max Becker, Schuhmacher Johann Krumm, Schreiber August Wegener, Arbeiter Wilhelm Bergmann, Maurer Eduard Eisbein, Arbeiter Ernst Lemmermann, Musiker Emil Böttcher, Zimmerer Ludwig Fick, Hausdiener Heinrich Hoppe und Wilhelm Peters. Max Becker übernahm den ersten Vorsitz und Turnwart wurde Hans Zeigert. Diese Namen nannte Schuhmacher-Meister Johann Krumm in einem rückblickenden Bericht von 1909. Friedrich Müsing brachte 1924 noch weitere Namen ins Spiel: Wilhelm Husen, Friedrich Müsing, Joh. feindt, Fritz Rethmann und Heinrich Schulz.
Die Altklosteraner hatten sich damit vom MTV Buxtehude von 1862 ab gespaltet, vermutlich aus lokalpatriotischen Gründen. Denn durch die Wintersche Papierfabrik (auf dem ehemaligen GraniniGelände), einem der größten Arbeitgeber im Niederelbe-Raum, hatte sich in Altkloster eine große Arbeiterschaft angesiedelt, die zur Jahrhundertwende auch in Buxtehude ihr eigenes Standes- und Selbstbewusstsein entwickelte. Lokalpatriotismus – damals war Altkloster noch eine eigenständige Gemeinde – und die Arbeiterbewegung, könnten die zwei Motive für die Gründung eines eigenen Vereins gewesen sein. Bis dahin existierte nur der MTV Buxtehude von 1862. Die Altklosteraner mussten also bei den wenig beliebten Buxtehudern in der Nachbargemeinde turnen. Durch die Gründung in Altkloster war es jetzt möglich, dass auch untere soziale Schichten dem Turnen nachgehen konnten. Näheres zu den Ursprüngen und Motiven war bislang leider nicht aufzuspüren.
Am 25.Juli wurde bereits für den neuen Verein geworben. Der Vorstand vom Turnverein Gut Heil pries wiederum im Wochenblatt an: “Jeden Mittwoch u. Sonnabend: Turnen.” Bereits im ersten Jahr konnten durch Spenden die ersten Turngeräte angeschafft werden. Im September des ersten Jahres wurde zum Kränzchen im Locale des Herrn W.Peters (Waldschloss) eingeladen. Das Programm war bunt gemischt: Einem Musikstück folgten Freiübungen, Gerät- und Kürturnen, Pyramiden sowie Ernst und Scherz am Reck. Abgerundet wurde der Abend, der “präcise” um 8 Uhr begann, vom Tanz. Die nächste Vergnügung jenseits der TV-Aktivitäten, stand einen Monat später an: Im Saale des Herrn Garbers wurde ein Schwank mit Gesang in vier Acten geboten. “Das Fabrikmädchen von Altkloster” garantierte einen “colossalen Lacherfolg”, wie die Direktorin versprach.
Doch interne Streitigkeiten mit zweimaligem Wechsel des Vorsitz lähmten die Arbeit. Ab 1901 kam das Turnen sogar für eineinhalb Jahre zum Erliegen, da Turnwart Wilhelm Drescher sein Amt niederlegen musste. Er war Wirt des Dampfers “Elbe” und sein Schiff machte nur noch alle 14 Tage in Buxtehude fest. Neuer Schwung kam mit Lehrer Plate ins Turnerleben von Gut Heil. Plate verabschiedete sich per Inserat am 1. Oktober 1900 mit einem herzlichen Lebewohl von allen Freunden und Bekannten aus Guderhandviertel, um seine neue Stelle in Altkloster anzutreten. Im Schnitt nahmen 1902 bis zu 30 Sportler an den Turnabenden teil. Als die Frequenz auf nur noch 15 zurück fiel, wurde eine Strafkasse eingeführt, in der für jedes unentschuldigte Fehlen zehn Pfennige eingezahlt werden mussten.
Im Oktober 1903 wurde eine Jugendabteilung für schulpflichtige Knaben ins Leben gerufen, die bereits am 13. März 1904 beim alljährlichen Wintervergnügen mit Riegenturnen und Freiübungen zum ersten Mal öffentlich auftraten. Das Wochenblatt zu dieser Veranstaltung: “Für den Kenner der Turnsache gewinnt das Fest auch noch einen besonderen Reiz, als es ihm ermöglicht, die Leistungen unseres Vereins mit den noch frischen Eindrücken des Buxtehuder Festes in Vergleich zu bringen.” Das hörte sich also schon damals nach einer gewissen Rivalität der beiden Vereine an. Nach Sport und Musik wurde zum Ball geladen. Eine Herrenkarte kostete 50 Pfennige, eine Damenkarte 25 Pfennige. Eine Tanzschleife war für eine Mark zu haben. Ungewöhnlich war die Finanzierung der Turngeräte. Für Barren, Pferd und Reck mussten 646 Mark bezahlt werden, der Wirt sprang mit einem Kredit in Höhe von 360 Mark ein.
Das Jahr 1904 stand ganz im Zeichen der Fahnenweihe, die mit einem Turnfest für alle Vereine des Unterelb-Gaues feierlich am 6. und 7. August begangen wurde. Das Wochenblatt frohlockte am 28.Juli ganz im Sinne der wilhelminischen Zeit: ” Der Geist des Turnvater Jahn scheint auch in Altkloster seinen Einzug gehalten zu haben, um der edlen Turnerei auch hier eine bleibende Stätte zu verschaffen. Allen Freunden des Vereins, allen Gebern kann nun wohl am besten dadurch gedankt werden, dass jeder Turner danach strebt, ein deutscher Jüngling, ein deutscher Mann im Geiste Jahns zu werden, dass er stets zum Symbol der Einigkeit, immer zur neuen Fahne hält, dass er stets bieder, treu und wahr; frisch, froh, frei, fromm ist immer dar.” Im Garten des Vereinslokals Waldschloss und auf dem grünen Rasen des Schafmarktplatzes sollen sich deutsche Jünglinge im Riegen- und Kürturnen sowie im Schleuderball, Faustball oder Staffettenlauf messen, so die Zeitung in der Ankündigung. für 2½ Uhr am 7. August war die feierliche Fahnenweihe geplant, anschließend sollte sich der Festzug in Bewegung setzen, “der sehr imposant zu werden verspricht”. Die Anwohner wurden aufgerufen , die Straßen festlich zu schmücken.
“Der Himmel möge alle Mühen und Arbeiten mit echtem Turnerwetter belohnen.” Der Zeitungsbericht endete mit dem Aufruf: “Auf, zur Fahnenweihe nach Altkloster”. Die Sportler aus Harsefeld und Buxtehude, aus Mittelnkirchen, Harburg und Jork folgten ihm. Die Zeitungsmacher schwelgten nach dem Ereignis “Turnersinn sei uns Gebot, als habe der Dichtermund es von unserem Orte gesungen, so gewaltig wogte und wallte es gestern auf den Straßen und Plätzen, stieg es jubelnd aus den Herzen, zog es mit jedem aufkommenden Verein gewaltiger herein. Die gestrige Fahnenweihe unseres Turnvereins Gut Heil ist zum schönsten Ausdruck echt turnerischen Lebens geworden.” Über die Schönheit der Fahne regte sich ein Staunen: ” Auf einem roten Grunde erhebt sich aus Eichenzweigen, von sinnvollen Worten umgeben die Germania und stößt den schweren Schild, auf dem das vierfach gekreuzte “F” erhoben, vor sich nieder” Die historische Fahne wird heute noch im Fahnenschrank des TSV aufgehoben.
Das Jahr 1905 brachte Neuerung ins Leben des TV. Zum ersten Mal wurde Zuschauern gestattet, bei den Turnabenden zu zuschauen, “wenn sie sich anständig benahmen”. Zuvor hatte während des Wintervergnügens der jüngste Nachwuchs exotische “Dschiu-Dschitsu”-Übungen aus dem fernen Japan vorgeführt. Im gleichen Jahr wurde eine Altersriege eingerichtet, der sich zwölf Herren anschlossen. Die Altkloster-Zeitung, identisch mit dem Buxtehuder Wochenblatt, war voll des Lobes: “Unser Männer-Turnverein Gut Heil entwickelt eine Rührigkeit, die ihm zu Ehren gereichen kann.” Gemeint war der alljährliche Festabend. Besonders hingewiesen wurde auf den Siegesreigen,der von der Damen-Abteilung ausgeübt wurde, der dem Verein nahe stand, aber noch nicht angehörte. Auch die anschießende Newserstattung hatte es in sich: “Wir waren überrascht über die vollendete Ausbildung, die die Mitglieder des jungen Vereins zeigten. Abgesehen von dem sehr hübsch ausgeführten Siegesreigen, der übrigens auf stürmisches Verlangen der anwesenden Gäste wiederholt werden musste, wurde ganz vorzügliches Geräte- und Kürturnen geleistet.”
Besuche bei der Bannerweihe des Turnverein Techniker Buxtehude, beim Stiftungsfest in Steinkirchen sowie weiteren Turn- und Gaufesten bestimmten das sportliche Programm von Gut Heil in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts. Einige Randbemerkungen spiegeln den Geist dieser Zeit wieder: Wilhelm Peters, Wirt des Waldschloss, lud zur “Lebenden Photographie” ein. 40 Bilder gelangten im Rahmen der “erstklassigen Kinematograph-Vorführung” zum Leben. Eintritt: 30 Pfennige, für Kinder 15 Pfennige. Für drei Mark konnte man sich zum Festessen im Altländer Hof in Jork anmelden. Anlass: Der Geburtstag “Seiner Majestät des Kaisers und Königs”. Ergebens luden ein: der Amtsrichter, der Landrat und der Gemeindevorsteher.
1911 war ein einschneidendes Jahr für den TV Gut Heil. Zum ersten Mal wurde im Inseratenteil der Wunsch “einiger junger Mädchen” laut, eine eigene Damenriege zu gründen, da es schöner sei, wenn an Festlichkeiten auch Mädchen mit turnten. Einige Mitglieder des TV wiesen einige Tage später wiederum per Anzeige darauf hin, dass die Damen persönlich beim Vorstand vor stellig werden müssten. Dem Frauenwunsch wurde nach etwas Zögern 1912 entsprochen. Die Frauen hatten beim Bezirksturnfest in Ahlerstedt ihren ersten Auftritt. 17 Damen zählte die Riege 1913. Für sie wurden Keulen und ein Tamburin angeschafft. Im September 1913 wurde zudem eine Mädchenabteilung gegründet.
Zurück ins Jahr 1911. Am 25. April wurde die neue Mittelschule in Altkloster eingeweiht. Damit, so das Wochenblatt, wurde “einem dringenden Bedürfnisse, seitens unseres aufstrebenden Ortes Rechnung” getragen. Das Entscheidende für den TV: An die Schule war eine Turnhalle angegliedert, wo ab dem 6. Mai geturnt wurde. Gut Heil zog also vom Waldschloss in die Turnhalle. Am 29. April wurde die Badeanstalt am Schulgebäude eröffnet. Sonnabends von 5 bis 9 Uhr durften die Männer baden, freitags von 5 bis 8 Uhr die Frauen. Das “Zellenbrausebad” kostete 25 Pfennige, ohne Zelle 15 Pfennige. Ein Wannenbad wurde mit 50 Pfennigen berechnet.
Am 5. Mai beschloss die Gemeinde-Ausschusssitzung von Altkloster, wie von der Königlichen Regierung in Stade empfohlen, den Bau eines Turn- und Spielplatzes gemeinsam mit Buxtehude in der Sandgrube (heute Jahnstadion). Voraussetzung: Altkloster, Buxtehude und Neuland verzichten auf ihr Sandnutzungsrecht. Am 11. Januar 1911 war es soweit: Die Königliche Regierung in Stade verpachtete die rund 2000 Hektar große Sandgrube an die Gemeinde Altkloster, so dass bis zum Mai hier ein Jugendspielplatz und Faustballfelder in Eigenarbeit von TV-Mitgliedern erstellt werden konnten. Am 30. Januar 1914 hieß es dazu im Wochenblatt: ” Schon jetzt wird von Fachleuten eine einstimmiges Urteil darüber abgegeben, dass ein zweiter besserer und schöner gelegener Platz in der ganzen Provinz nicht zu finden sein wird. Bei der normalen Lage des Platzes können Tausende von Personen als Zuschauer ohne besondere Vorrichtung und ohne gedrängt zu werden Platz finden”. Noch vor dem 1. Weltkrieg wird ein kleines Rundhäuschen gebaut. Friedrich Müsing wurde als Turnwart an die Königliche Landes-Turnanstalt zu Spandau nach Berlin berufen eine besondere Auszeichnung.
Am 18. April wird ein Aufruf gestartet: “Jungdeutschland. Am Sonntag sollen in der Sandkuhle in Altkloster Pionierarbeiten ausgeführt werden. Hierzu werden alle Schüler und Lehrlinge freundlichst eingeladen.” Nach einem Stück Kriegsvorbereitung hört sich auch ein Aufruf an “Jungdeutschland” in Altkloster und Buxtehude an. Diesmal ging es in die Nähe von Stade zu einem “Kriegsspiel”.
Das Programm des alljährlichen Wintervergnügens am 15. Februar 1914 hört sich kurzweilig an. Außer den gängigen Turnübungen wurden dargeboten: “Im Reich des Indra und Reigen der Priesterinnen als Pantomime sowie Tango ist Trumpf mit dem Apachen-Tango vom Moulin Rouge und El Choclo, Tango argentinisch.” Die Redaktion des Wochenblattes war einmal mehr voll des Lobes, diesmal vor allem für die Damen: “Die präzisen und mutigen Übungen beweisen, dass bald die Zeit gekommen sein wird, wo es schwer sein dürfte, noch von einem sogenannten schwachen Geschlecht zu reden.” Weiter hieß es: “Das Programm war einfach großartig” und sei das Schönste gewesen, was der Verein je geboten habe.
Die bislang strikte Trennung von Sport und Turnen wurde in Buxtehude und Altkloster aufgebrochen. Der seit zwei Jahren bestehende Sportklub Buxtehude nannte sich jetzt “Sportvereinigung Buxtehude, Altkloster; Fußballabteilung der Turnvereine Buxtehude, Technik und Gut Heil Altkloster”. Die drei Vereine machten gemeinsame Sache. Am Pfingstmorgen 1914 ging es morgens um 5 Uhr auf eine Wanderung nach Hedendorf. Gemeinsinn wurde gefördert. Die Vereinigung arbeitete auch an einer Besserung des nicht immer friedlichen Verhältnisses zwischen den beiden Nachbarorten, schrieb das Wochenblatt in einer Bilanz im Mai 1914. An einem Festspiel hatten sich im Sommer 1913 600 (!) Kinder und jugendliche beteiligt.
Doch dem fröhlichen Treiben wurde 1914 eine Ende gesetzt.
Im Juli des Jahres platzte die Kriegserklärung in alle sportliche Bemühungen. Am 3. August wurden Kriegsfreiwillige darauf hingewiesen, dass sie sich “innerhalb der ersten zwölf Mobilmachungstage ohne weiteres bei jedem beliebigen Truppenteile melden” können. Die Turner von Gut Heil zogen mit in den Krieg und viele von ihnen in den Tod. Nahezu alle Aktiven meldeten sich freiwillig. Das Vereinsvermögen in Höhe von 126 Mark wurde dem Roten Kreuz gespendeten. Während der Kriegsjahre 1914 bis 1918 ruhte das Turnen.